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Über mich

VOM RAUSCH DER SINNE

Ich möchte mich dazu bekennen, dass mich Musik in einen Rausch versetzt. Mich fesselt das Faktum, die einnehmende Wirkung von Musik nicht erklären zu können. Es fasziniert mich genau so, wie Musiker (und ich spreche hier durchaus alle Musikrichtungen an) mit ihrer Kunst Menschen in ihren Bann ziehen können. Aber um meine musische Intention etwas besser zu verstehen, lohnt es sich, etwas zurückzublicken.
Meinen ersten „musikalischen Rausch“ hatte ich als Vorschulkind in einer großen Kirche, als die Orgel „alle Register“ zog und im Tutti zum Postludium anhob. Eine Klangwelle wälzte sich durch die Kirche, die mich regelrecht wegspülte. Dieser Eindruck brannte sich in mein Herz, doch sollte mir das erst Jahre später bewusst werden.
Wieder an diesen Gefühlsmoment erinnert, wurde ich durch Werner Schneiders Film „Schlafes Bruder“ in jener Sequenz, als der „Orgelschwall“ sogar die Kerzen auszulöschen vermochte.

MOMENTUM

Mein Interesse erregte seit jeher das „Andere“ in der Musik. Was mich packt, ist die Fähigkeit der Musik zum Extremen, zum Entzücken und zum Erschrecken -  eine „Macht“, die in vielen Werken „einkomponiert“ ist. Und dann ist da auch die Musizierweise, die einige Musiker so natürlich zelebrieren. Einem Horowitz (selbst im höchsten Alter) zuzuhören, verzückt mich nach wie vor. Wir sind ja heutzutage nicht mehr wirklich zu erobern, schon gar nicht durch Musik im „traditionellen“ Konzertrepertoire! Zu überreizt sind wir, tagtäglich! Da muss man schon das Spezielle wollen und auch bewusst aufsuchen.
Aber wer dann z.B. Georg Friedrich Haas’ 3. Streichquartett „In iij. Noct.“ erlebt hat, weiß, was ich meine: hochkonzentrierte Musik in vollkommener Dunkelheit, ungeschützt und direkt! 

Es treibt mich an, Momente zu ermöglichen, die das Publikum einnehmen und fordern, und zwar in jeder Gefühlsschattierung, ob angenehm oder höchst irritierend.
Wie sehr schätze ich jene (seltenen) Konzerte, die Erstaufführungen beinhalten - diese großartigen Momente, da eben geborene Musik ungebremst auf den Geist einwirkt. Wir empfinden heute nicht mehr jene Ergriffenheit, wenn wir »Ein Überlebender aus Warschau« von Schönberg hören. Wie sehr berührt uns diese Musik noch? Wie „abgebrüht“ sind wir bereits? Hier fehlt doch (schon) etwas.

3348 TAKTE

 Ja, in mir „brennt“ das Bedürfnis, das Publikum unverhofft zu "treffen", sprachlos zu machen, gedanklich z.B. mit Morton Feldmanns 3348 Takte (124 Partiturseiten !) umfassendem „2. String Quartet“, das bis zu fünf Stunden oder gar länger dauern würde, auch wenn ich als Musiker nicht mitwirken könnte. Denn nach diesen fünf Stunden Musik wäre alles gesagt ... 

Was fordert uns denn sonst noch in einem Zeitalter, in dem man alles, sofort und überall mit nur einem Klick konsumieren kann?
Da gibt es noch etwas, das Analoge, das Unerhörte, das Unerfahrene ... ich fand es nicht mehr im gängigen Musikbetrieb und auch nicht im Standardrepertoire, ich fand es bei jenem Komponisten, der mich seit meinem Hochschulstudium auf das Engste begleitet: bei Joseph Haydn.
Doch nicht in der Praxis. Dort ließen mich Aufführungen von Haydn-Sinfonien ratlos zurück. Wie konnte man diese Musik nur so dermaßen uninspiriert abspulen? Vom Überraschen - dafür ist Haydn ja auch bekannt - sind wir ohnehin meilenweit entfernt. Das Publikum mit einer Haydn-Sinfonie gar zu treffen, absurd!

DER WERKE FEIND ...

Ich gebe es unumwunden zu: Diese Kluft zwischen dem Gehalt seiner Musik und der Wirkung, die sie in unserer Zeit noch hervorzubringen vermag, wollte ich überwinden.
Diese Kluft hat ihren Eingang leider bei den meisten Klangkörpern, die sich dieser Musik ab und zu annehmen.
Haydns Sinfonien, wie auch die Instrumentalkonzerte (von seinen Opern könne wir leider nicht flächendenkend sprechen, doch im einzelnen ist dasselbe zu beobachten sprechen) - wie im Übrigen auch jene von Mozart - haben das selbe Schicksal: Sie unterliegen einem stillschweigenden Abkommen zwischen dem Dirigenten/Interpreten und den Orchester selbst. Ein Abkommen, das auch niemand wirklich hinterfragen will. Prinzipiell werden die Probenzeiten für Haydns Instrumentalmusik - wie eben auch jene für Mozarts Orchesterwerke - von den großen Orchestern sehr knapp bemessen. Gerade so, dass man durchkommt. Das Orchester könnte sich sonst schnell zu langweilen beginnen - technisch sind diese Werke für professionelle Klangkörper keine Herausforderung mehr - und vom Dirigent geht nach kurzer Zeit kein Input mehr aus. So ist es doch: Eine Haydn Sinfonie kann man schnell einstudieren, ja fast vom Blatt dirigieren, oder aber man sitzt für sehr lange Zeit über den Noten, um dahinter zu kommen. Tut man sich diese Knochenarbeit an, kommen richtige Wunder heraus. Nicht zuletzt haben das ausgewiesene Experten oft beweisen können.

IN VOLLEM GLANZE ...

Dieser Umstand der Hilflosigkeit diesen Werken gegenüber begegnete mir schon am Beginn meines Studiums. Vielleicht war das auch eine Initialzündung, um mich Haydns Schaffen bewusster zuzuwenden. 
Es war die Schöpfung, "In vollem Glanze steiget jetzt die Sonne" - dieses Stück war für den Chordirigierunterricht vorzubereiten. Mit Sicherheit der schönste und imposanteste Sonnenaufgang, den die Musikgeschichte kennt. Doch während dieses Rezitativ, wie bei allen anderen Werken der Wiener Klassiker, nach Erledigung der dirigiertechnischen Schwierigkeiten beiseite gelegt wurde (zugegeben, bei Beethoven hielt man sich für gewöhnlich schon etwas länger auf), begannen mich neben dieser progressiven Harmonik und Haydns Tonmalerei, wie insgesamt die Anlage des Accompagnato Rezitatives vor allem die aufführungspraktischen Details zu interessieren. Immerhin gibt es detaillierte Berichte zu Aufführungen, denen Haydn selbst beigewohnt hat. Diese Studien beflügelten mich eher als der Dirigierunterricht. Denn sie zeigten mir nicht, wie ich "es zu machen hatte", sondern "was es ist", um hier Schönberg aus einem Brief an Rudolf Kolisch zu zitieren. Und letztendlich gibt dieses Wissen den Ausschlag, ob ein Werk wie "Die Schöpfung" im Gedächtnis bleibt oder nicht. Wieviele Stardirigenten haben die Schöpfung aufgeführt, und wieviele blieben uns wirklich im Gedächtnis? Abgesehen von jenen wenigen, die uns die Schallplattenindustrie "eingehämmert" hat, wohl am ehesten "Experten" wie Harnoncourt.

VON HAYDN, MOZART UND ALL DEN ANDEREN ...

Natürlich begann ich schon als junger Dirigierstudent zu bemerken, dass ein "Le sacre du printemps" von Strawisky oder "Der wunderbare Mandarin" von Bartók für einen halbwegs schlagtechnisch versierten Dirigenten bei der Probenarbeit viel dankbarer waren - damit war ein Orchester genug beschäftigt - als eine Sinfonie Nr. 104 von Joseph Haydn oder eine g-Moll Sinfonie KV 550 von Wolfgang A. Mozart.

Ich durfte als Dirigent, schon in sehr sehr jungen Jahren, den Betrieb intensiv auskosten, um zu dem Schluss zu kommen, dass ich das so nicht machen will. Da hatte ich schon eine Kremerata Baltica dirigiert. Mit mir spielte Gidon Kremer als Solist. Ich durfte einige Uraufführungen Arvo Pärts leiten. Also alles in allem überaus vielversprechend. Aber nicht für mich ... denn man gab mir Probezeiten vor, ohne mit mir darüber zu sprechen, was ich denn in den Proben vor hätte. Ich musste erfahren, dass mich - in jungen Jahren - altgediente Orchestermusiker insofern maßregelten, als sie sagten, dass ich es einmal gut sein lassen sollte, denn vom vielen Proben werde alles nur schlechter, die Spannung gehe dabei verloren. Welche Spannung fragte ich mich, fader ging es gar nicht! Da war keine! Doch nur jene Spannung, ob man halbwegs durchkäme. Natürlich gibt es Dirigenten, die am Pult die Orchestermusiker fesseln und animieren, aber das muss nicht zwangsläufig durch eine fundierte Probenarbeit passieren, und in einer interpretatorischen Meisterleistung enden, das geschieht meistens dompteurhaft. Ja, Dirigenten müssen musikalische Demagogen sein.

... UND SO MUSSTE ICH ORIGINAL WERDEN ...

Nein, diese Welt war für mich nichts. Und so begann ich mir meine eigenen Probenzeiten zurechtzulegen, für eigene Konzertprogramme, in eigenen Projekten. Ich begann zu organisieren.
Im Studium selbst aber vertiefte ich mich mehr und mehr in jener musikalischen Richtung, die nicht sofort alle Geheimnisse preisgab.

Mich faszinierten Analysen. Und je komplexer die zu untersuchende Partitur war, desto aufgeregter wurde ich. Das Aufspüren von Zahlenspielen in den Noten oder die Suche nach Goldenen Schnitten, das Dechiffrieren harmonischer Komplikationen, all das ließ mich oft zu lange in die Partitur und weiterführende Literatur blicken. Immer wieder aber blieb ich bei Haydn hängen, seit "Der Schöpfung" in jener bereist beschriebenen Unterrichtsstunde.

Es nimmt also nicht weiter wunder, dass ich mich sowohl in der Diplomarbeit und der anschließenden, für mich richtungsweisenden Dissertation mit Joseph Haydn, genauer gesagt mit seinen Sinfonien, auseinandersetzte. 
Doch nach wie vor konnte ich meine künstlerische Kreativität nur in Form von eigens organisierten Projekten ausüben. Dies hatte einen entscheidenden Nachteil: Das Organisieren übernahm die Herrschaft, ich hatte immer weniger Zeit für die Musik.

107, 13 UND VIELES MEHR

Viele Dirigate eigener Konzert- und Opernprojekte später, nach der Gründung von zwei Orchestern und zwei Festivals, nach den Aufbau einer internationalen Orchesterakademie und nach der Konzeption von vier sehr erfolgreichen EU-Projekten bzw. etlichen neuen und innovativen Formaten, stieg ich aus. Die Organisation hatte mich überrannt. Ich entschied mich für einen radikalen Schnitt. Ich verordnete mir ganze 18 Monate Grundlagenforschung im Universum der 13 Opern Joseph Haydns, die mich nicht erst jetzt gefangen genommen hatten, sondern die mich schon seit meiner Studienzeit faszinierten. Doch hatte ich für diese grenzenlos erscheinende Aufgabe schlicht niemals die nötige Zeit aufbringen können.
Jahrelang widmete ich mich schon den 107 Sinfonien Joseph Haydns. Nun wollte ich mich - ähnlich einer intensiven Klausur - seinem wichtigsten Schaffen zuwenden: seinen 13 Opern. Auch hier folgte ich Haydns Zitat - jenes Zitat, das schon das Titelblatt meiner Dissertation zierte - "... Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selber irre machen und quälen, und so mußte ich original werden."

 

ZURÜCK!

Die monatelange intensive musikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinen 13 Opern hatte nicht nur eine Homepage zur Folge, die meine Sammlung an Fakten, Zahlen und Informationen in dieser Dimension erstmals der Öffentlichkeit zeigen, sondern ließen mich an ein neues großartiges Projekt denken: Die authentische Produktion aller 13 Opern Joseph Haydns unter dem Projekt Titel Haydn13, unter Berücksichtigung der von mir entdeckten notwendigen Parameter und einer geradewegs "branchenunüblichen" Herangehensweise. Für Haydns Opern ist der Theaterbetrieb zu genormt, zu eindimensional geworden. Und was nicht hineinpasst, ist entweder ein Experiment, eine Nische oder eben nicht allzu wertvoll, um "gespielt" zu werden. Natürlich hatte ich diese Erkenntnis schon zu Studienzeiten gewonnen, sonst wäre ich nie in das organisatorische Fach gerutscht, aber erst im Zuge dieser Arbeit wurde mir die Enge unseres Betriebes richtig bewusst: Dieser Betrieb hatte schlichtweg eine erfolgreiche Umsetzung der wichtigsten Gattung eines der bekanntesten Komponisten verunmöglicht! Und niemand hatte eine glaubwürdige Erklärung dafür!

ZEIT FÜR NEUES

Interessanterweise versuchen die Theater angesichts der schon länger andauernden Krise alle möglichen Experimente. Unter dem Begriff Audience Development will nun die Branche mit Gewalt entgegen steuern. Was da nicht alles probiert wurde und wird! Doch man kann die Musik nicht verbiegen, dieses Development kann nur bis zu einem gewissen Grad gelingen. Wo man aber ansetzen kann, und das übersieht man einfach, ist in der Musik selbst. Gerade bei Haydn, der mit seinem Betrieb in Esterház einiges an Nachahmenswerten vorgelebt hat. Denn - und jetzt lüfte ich zumindest einen Teil meines Geheimnisses - er hat in seinen Opern verschiedene Momente höchster Sprengkraft, die so manche eingebürgerte Tradition über den Haufen werfen würde.
Ich will zurück zu Haydns wahren Wurzel und so seine Opern aufführen. Dazu muss ich eine neue Linie im Opernbetrieb etablieren. 

" ... und so mußte ich original werden."